Mohnblumen

 

Meine geliebten Mohnblumen, sie sind immer im richtigen Moment aufgetaucht …

 

Liebe Leserin, lieber Leser meiner Geschichte. Ich freue mich, dir hier zu begegnen. Vermutlich hast du gute Gründe, die dich dazu bewegen, dir meinen (Krebs) Befreiungs-Weg anzuschauen.

Jede Geschichte verläuft völlig anders, und doch gibt es irgendwo versteckt dahinter, genau das, was auch dir nützlich sein könnte. Das ist mein Wunsch, und meine Motivation, dir mit meiner Geschichte irgendwie behilflich sein zu dürfen.

 

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(c) unsplash-Lina-Angelov

Der Stoff aus dem die Träume sind. Ich liebe das. Für mich ein leichtes Sommerkleid. Ich hab es mir kurz vorher gekauft, gut sichtbar aufgehängt und freute mich darauf, es endlich ausführen zu dürfen.

 

Wie aus Rosi, Roswitha wurde.
Als alles begann, war ich 49 Jahre jung und lebte in Trennung, oder als glücklicher Single. Wahrscheinlich von beiden was. Es war nicht einfach, aber doch machbar und ich schaffte einen Tag nach dem anderen. Meine zwei erwachsenen Kinder waren schon immer mein ganzer Lebensinhalt und wir helfen uns gegenseitig und sind füreinander da. Meine Tochter wohnt in der Nähe und mein Sohn genießt immer noch unser Zuhause.

 

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(c) unsplash-Dewang-Gupta

Die Murmel, Symbol meiner Kindertage.

 

Seit dem Juli 2012 hat sich mein Leben komplett verändert.
Mein Leben, dieser ca. eineinhalb Jahre war geprägt von der Ver – rückt – heit dieser/unserer Welt, und der Erkenntnis, dass nichts so ist, wie es zunächst scheint.
Im Juli 2012 tastete ich etwas Ungewöhnliches in meiner rechten Brust.
Diesen Moment werde ich niemals vergessen. Instinktiv wusste ich – dieses „Etwas“, gehört nicht hierher.
In mir breitete sich eine große Unruhe aus, ein starkes Gefühl, eine vernichtende Erkenntnis.
Ich vereinbarte beim Gynäkologen einen Termin und sah diesem mit bangen Gefühlen entgegen. Die Angst packte mich und in mir breitete sich Beklemmung aus.

 

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Ich versuchte mit dem Licht in Verbindung zu bleiben. Mit dem Licht in mir.

Meine düsteren Befürchtungen behielt ich trotzdem bei mir; wollte ich doch niemanden aus meiner Familie beunruhigen. 4 Wochen lang, versuchte ich meine Angst zu verdrängen. Der Termin schien gleichzeitig weit weg und doch so nah.

Normalerweise, ging ich alle 2 Jahre zu Mammographie. Ich mimte die Starke und sagte nichts. Jedoch beschloss ich, ganz allein für mich, den nächsten Termin vorzuziehen.
Bei mir war dies eh notwendig, da ich ein verdichtetes Brustgewebe habe. Doch der Frauenarzt, wollte sich als erstes selbst ein Bild machen. Also führte er eine Ultraschalluntersuchung durch. Es beunruhigte mich sehr, als er gleich danach versuchte mich zu beruhigen.

Diese Untersuchung bestätigte zunächst erst mal seine ursprüngliche Diagnose, ein verdichtetes Brustgewebe.
Nach wieder 4 Wochen bangen und warten, hatte ich dann endlich die Mammographie. Es eilte ja laut Arzt gar nicht. Doch mein Bauchgefühl sagte mir etwas anderes.

 

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Wo ist der Ausgang?

 

21.08.1012
Das Gefühl der Unruhe war in mir weiterhin sehr stark. Ich konnte an gar nichts anderes mehr denken, schlafen konnte ich auch nicht mehr. Die erste mündliche Information der Ärztin (Mammographie) war: „ Oh, ich sehe etwas undefinierbar diffuses, ein Gebilde“. ( wörtlich) Panik ergriff mich, mir wurde es schlecht, ich musste gegen Übelkeit ankämpfen. (Mir ging es wirklich richtig mies).

Als nächstes wurde mir eine Stanzbiopsie empfohlen – und zwar unmittelbar danach. Ich kam gar nicht zum Nachdenken. Das Stanzen selber war gleich vorbei und tat auch nicht sehr weh, es war unangenehm aber aushaltbar. Doch diese Situation war für mich entwürdigend! Ich saß da und wartete mit nacktem Oberkörper, eine Decke lose über der Schulter gelegt, fror und zitterte erbärmlich. Die äußere und vor allem innere Kälte kroch langsam durch meinen Körper.

Die Gedanken jagten sich gegenseitig. Mein Kopf hämmerte, meine Schläfen klopften, mein ganzer Körper war in Hochspannung. Die innere Unruhe in mir, ließ mich frieren und schwitzen zugleich. Ich klapperte mit den Zähnen. Es war unerträglich.

 

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unwirklich, unwirtlich, fern jeglicher Realität

 

Diese 45 Minuten waren eine meiner schlimmsten Erfahrungen. Ich fühlte mich vollkommen allein und verlassen. Diese elende Warterei war meine erste dramatische Erfahrung in diesem makabren Spiel. Nach einer, wie mir schien endlos langen Zeit, wurde mir die Mammographie CD ausgehändigt, mit dem Hinweis, in ca. 3 Tagen liegt der Befund bei ihrem Gynäkologen. Punkt – das war alles.
Das war´s also, durchatmen ging nicht. Etwas in mir stockte. So ist das also, dachte ich und fühlte tiefe Verbundenheit mit all den Frauen von denen ich schon mal ähnliches gehört hatte.

Anmerkung heute:
Ich habe so ein tiefes Gefühl für Ästhetik, Sinn für Schönheit, Freude an schicken Kleidern, ich liebe Mode – ich kann alles tragen. Ich war immer stolz auf meine gute Figur. Mir war und ist mein Aussehen sehr wichtig und ich liebe luftige, leichte und bunte Sommerkleider. Ich hatte schon immer Freude an tollen Klamotten.

All das, was für mich bisher wertvoll und schön war, löste sich wie im Nebel auf. Mein Gedanke: Aus und vorbei, das war´s! So ist das also.
Dieser dumpfe Schmerz der Angst in meiner Brust, vertiefte sich und nahm mir den Atem. Die Tage vergingen zäh und schneckenlangsam. Nach mehrmaliger Anfrage meinerseits, (das ist Sarkasmus), war mein Gynäkologe endlich irgendwann am Telefon. Ich hielt regelrecht die Luft an. Die erste Aussage war wortwörtlich: „ Sie wissen schon, sie haben Brustkrebs“. Das war vernichtend, ich hatte das Gefühl zu erstarren. Ein Teil von mir hat es ja erwartet, eine Art tieferes Wissen, Vorahnung. Er bat mich am gleichen Tag zu kommen.

Der Gynäkologe erklärte mir sehr sachlich meine Situation: „Der Tumor ist 1,8 cm, wir können sie brusterhaltend operieren und Krebs sei ja heute eh kein Todesurteil mehr. Genauso war es. So sprach er. Ich fühlte in mir eine Tür zuschlagen.

 

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………………. ausgetrocknet und gebrochen

Dieses Gefühl – erstarrt sein – ist doppelt tödlich. Mir ist alles eingefallen, was ich jemals zu diesem Thema gehört, gelesen und gesehen habe.
Es ging nur noch um den Ort des Eingriffs, also um das „Wo“.
Das Krankenhaus Dachau (erster Vorschlag) verband ich mit meiner Mutter, die an Darmkrebs verstarb. Ich wollte einfach nicht hin!

Anmerkung heute:
Meine Mutter starb 2008 an Krebs. Ich war dabei und hab es noch nicht aufgearbeitet. Kann man das jemals?

Als Option hatte ich noch das Klinikum Augsburg.

 

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Irgendwie, irgendwo fielen mir Mohnblumen auf. Ich konnte einen kurzen Moment innehalten und durchatmen.

31.08.12 war mein nächster Termin im Zentralklinikum Augsburg, jedoch diesmal zusammen mit meiner Tochter. Alleinsein in so einer Situation ist grausam. Bei der Anmeldung bekam ich eine Nummer und ab da war ich dann die Nummer… so und so…. 104. (Die 104 hat sich in mir eingebrannt und die Erinnerung an diese Nummer ist auch heute noch in mir lebendig).

Dies war mein zweiter Schock, jetzt bin ich eine Nummer! Wenn man Krebs hat, darf man nicht empfindlich sein. Der Arzt im ZK schaute sich meine CD an und verniedlichte das was er sah. Vielleicht wollte er mich beruhigen, aber durch seine Wortwahl steigerte sich wieder die Unruhe in mir und ich musste wieder gegen die schon bekannte Übelkeit ankämpfen.

Er empfahl mir eine Wiederholung der Mammographie. Irgendwie schien er etwas in Frage zu stellen. (Ich wertete dies positiv und hoffte, es möge sich doch um einen Irrtum handeln). Die Mammographie sollte unmittelbar nach diesem Gespräch erfolgen.
So geschah es. Die nächste Diagnose, nach ca. einer Stunde warten: Es gibt einen zweiten Herd! (Ich konnte es nicht glauben, ich war fassungslos). Ich hoffte auf einen Irrtum und stattdessen nun ein weiterer Tumor.

Es folgte die zweite Stanzbiopsie. Ich war vollkommen neben der Kappe. Dem kleinen Hoch von vorher, folgte wieder ein tiefer Fall. Im Nachhinein, weiß ich, dass ich in einen Zustand des Schocks fiel. Ich bin erstarrt und konnte mich nicht mehr bewegen. Vieles was danach besprochen wurde, zog an mir vorbei. Es war so, als würde es mich gar nicht betreffen.

Irgendwann löste sich wohl meine Erstarrung. Ich musste wieder in das Arztzimmer, einen Stock tiefer, wo mein erstes Gespräch stattgefunden hat, bevor ich zu dieser Mammographie ging. Inzwischen war aber Schichtwechsel, ein neuer Arzt saß da und ich musste das gleiche wieder erzählen wie die Male vorher – alles von vorne.

 

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v e r w o r r e n

Ich kam mir vor, wie auf einer falschen Bühne. Nach der Familienanamnese – Cousine hatte Brustkrebs, veränderte sich seine Stimmlage. Er wurde hektisch und empfahl mir ganz dringend, meine andere Brust genauer untersuchen zu lassen. Meine Tochter, die dabei war, bekam ebenfalls eine düstere Zukunftsprognose. (Milde ausgedrückt). Ich reagierte auf ihn wohl sehr verzweifelt und durcheinander. Ich fühlte mich innerlich zerrissen. Ich konnte nur noch denken: Meine arme Tochter.

Das mit meiner Tochter gab mir den Rest. In meiner schrecklichen Not, sagte ich so etwas wie: „Da kann ich ja gleich gegen einen Baum fahren“. Darauf wollte man mir, die Krankenhaus – Psychologin rufen. Das hat mich eigentlich noch mehr aufgebracht. Ich war verletzt, wütend, zornig, fühlte mich allein und in meiner inneren Not nicht verstanden. Ich suchte nach einem Anker, einem sicheren Ort, einer tröstenden Hand – nach einem mitfühlenden Wesen. Doch nichts geschah, kein Engel erschien um mich zu retten.

Nun, irgendwann wollte ich gar nichts mehr wissen, nur noch meine Ruhe haben. Es war ein Desaster. Wir fuhren verstummt nach Hause. Wir sprachen nicht. Es war ganz still. Ich war erstmal sprachlos und dachte vor allem nur an meine arme Tochter. Um sie machte ich mir jetzt am meisten Sorgen. Der Arzt, mit seiner düsteren Familienanamnese hat meine Mutterinstinkte geweckt.

NEIN, ALLES, aber meine Tochter nicht! NEIN – NIEMALS, dachte ich mir.

 

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Ich entdeckte ein Buch mit Mohnblumen auf dem Cover. Etwas in mir konnte weicher werden.

Nach 2 Tagen, hatte ich den nächsten Termin im ZK. Es erwartete mich eine dritte unbekannte Ärztin und erklärte mir wieder den neuesten Stand der Dinge. Der erste Tumor misst 1,8 cm, der zweite 2,3 cm, ja und Mikrokalk sei auch noch da. Gott sei Dank war immer meine Tochter dabei, sie war mir eine echte Stütze, zusammen lässt es sich leichter ertragen. Die Ärztin empfahl mir eine Mastektomie der rechten Brust und zwar gleich eine Woche später.

In der Zwischenzeit fuhr ich zu meiner Cousine, die mir als selbst Betroffene wieder etwas weiter half. Sie hatte bereits Erfahrung gesammelt und empfahl mir aufgrund meiner Unsicherheit einen Termin im Josefinum, wegen einer Zweitmeinung. Das half mir, denn die unterschiedlichen Diagnosen hatten mich doch sehr verunsichert. Wem sollte ich noch glauben?!

Eine Zweit (eigentlich Dritt-)meinung einholen, ja, das machte mich wieder irgendwie handlungsfähig. Die Gynäkologin im Josefinum zweifelte den letzten Befund an. Dadurch wurde ich wieder, diesmal noch unsicherer, bezüglich der Mastektomie im ZK. Dieser Termin war so nah und ich fühlte einen großen Druck. Meine Gefühle fuhren Achterbahn. Mir wurde dringend zur Abklärung ein MRT empfohlen.

Mir saß da bereits eine vernichtende Angst im Nacken, wegen dem so drängenden Termin für die anstehende Mastektomie.

Anmerkung:

Ich war zu dem Zeitpunkt sehr sportlich und liebte gut geschnittene Kleider. Ich bin schlank und lege viel Wert auf weibliche Kleidung. Ich wollte das alles nicht, ich wollte diese Verstümmelung nicht, ich wollte, dass es so wird wie vorher. Ich wollte, dass jemand sagt: wach auf, du hast nur einen bösen Traum.

Lieber Leser, vielleicht kannst du verstehen was in mir vorging.

Ich wollte um meine Brust kämpfen.

 

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Ich möchte kämpfen.

Daher war mein nächster Termin ein MRT, in einer Praxis außerhalb vom Josefinum. Ich dachte: je unabhängiger umso besser. Dieses Krankenhaus verfügt selbst nicht über ein MRT. So, jetzt kommt es noch dicker.
Neuer Befund: insgesamt ein Tumor mit 6,5 cm. Nun hatte ich 3 – 4 völlig unterschiedliche Diagnosen. Ich dachte mir: als Laie bin ich hilflos. Dieses MRT sollte ich selbst bezahlen. Der Radiologe hier, sagte, es müsste jetzt wohl eine Tumorkonferenz stattfinden, wegen diesen unterschiedlichen Diagnosen – ich war fassungslos.

Er versuchte mich auf eine freundliche Art etwas zu beruhigen. Doch es half gar nicht. Nach dieser Besprechung der Fachärzte (es dauerte wieder ein paar Tage), rief mich die Ärztin aus dem Josefinum zu Hause an. Ich war unglaublich aufgeregt. Neuer Vorschlag: Chemo zur Verkleinerung des Tumors und Entfernung des Wächterlymphknotens. Mir schwirrte noch die letzte Verdachtsdiagnose des ZK´s im Kopf: „Hochgradiger Befall der Lymphknoten. (Was sich aber später nicht bestätigte).

Was sollte ich tun?

Nun so ging es weiter.

11.09.12
Am 11. September OP des Wächterlymphknotens im Josefinum. Hier fühlte ich mich stark bedrängt, die anschließende, vorgeschlagene Chemotherapie bei einem bestimmten Arzt zu machen. (wieder Unsicherheit pur) Es wurde mir intensiv nahegelegt zu diesem Arzt …… zu gehen. Ich dachte immer, ich hätte in Deutschland Arztfreiheit. Weil ich mich so bedrängt fühlte, suchte ich einen Onkologen außerhalb der zuletzt genannten Krankenhäuser auf.

 

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(c) unsplash-Veronica-Ivanov

Auf dem Weg fiel mir ein Mohnblumenfeld auf. Eine Minipause und Erinnerung an Normalität. Mein Sommerkleid hing immer noch gut sichtbar in meinem Schlafzimmer.

Hier, in der mir völlig fremden Onkologischen Arztpraxis fand ich das erste Mal Gehör, nicht als Nummer, sondern als Mensch. Hier fühlte ich mich angenommen und verstanden und es war mir gleich klar, dass ich hier meine Chemotherapie machen würde. Dieser Arzt und Onkologe hat mich als empfindender Mensch mit Gefühlen wahrgenommen. Das Verwirrspiel schien ein Ende zu haben. Es war, als wär ich angekommen. Ich entwickelte wieder etwas Vertrauen.

Dieser Arzt nahm sich Zeit, FÜR MICH, noch mal, vielen herzlichen Dank. Er hat auch meine eigenen vorgeschlagenen Alternativen ernst genommen, das war sehr wichtig für mich. Es gab endlich ein „Wir“. Wir besprachen unterschiedliche Optionen. Dann erklärte er mir sachlich seinen Standpunkt. Mit seiner Hilfe konnte ich mich entscheiden, wie es weiter gehen solle. Er gab mir Vertrauen und Sicherheit. Ich entschied mich, die Chemo innerhalb von 2 Tagen zu beginnen. Dieser Arzt machte öfters Ultraschall und hat auch das letzte CD-Material begutachtet. Er sprach von einem Tumor mit 2,3 cm Größe und er blieb auch dabei, obwohl ich immer nachbohrte. (ha, ha, kann man ja verstehen nicht?)

Jetzt hatte ich 4 -5 Diagnosen. (Anmerkung: ich habe schon fast den Überblick verloren) Nach der Hälfte meiner Chemo schickte mich dieser Arzt nach München in eine große Klinik. Er erhoffte sich zusätzliche, fachliche Abklärung. Ich dachte: na super?! Bei dieser Fahrt erlebte ich eine Odyssee, zuerst mit dem Auto, dann mit dem Zug, dann S-Bahn, dann U-Bahn. Es war sehr anstrengend. Es dauerte den ganzen Tag, warten und warten. Ich wartete vergeblich, trotz Termin. Der Arzt war nicht verfügbar. Wieder mal, habe ich wohl zu viel erwartet.

Nach ca. 4 Stunden warten, war ich völlig erschöpft, die Chemo hat mich doch sehr geschwächt. Irgendwann, ich konnte nicht mehr, war ich endlich dran. Was soll ich sagen, es geschah nichts, es war lediglich ein Gespräch von ca. 5 min, ungefähr so: „Ihr Tumor ist groß, er ist sehr groß, er könnte aber noch grösser sein“. Es war makaber.

5 – 6te Diagnose
Der ganze Tag, die ganze Aufregung, dieser Stress, meine Hoffnung waren eine Farce, ein schlechter Witz. Ich kam mir vor wie in einem schlechten Film. Also wieder eine gegensätzliche, ungenaue Meinung zu dem Arzt, der mich nach München geschickt hat.

 

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Ein tiefes, dunkles Etwas.

Diese Aussage zog mich in ein tieferes dunkles Loch, meine Haare gingen aus, ich trug so kleine gehäkelte Käppis, ich fühlte mich scheußlich, rundherum war Weihnachten, mein Selbstwert war futsch und ich fühlte mich wie ein einziger großer Tumor.

 

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Am Bahnhofskiosk lachte mich eine Postkarte mit Mohnblumen an. Ich war so dankbar für diesen Anker.

Ich fuhr nach Hause, in der Zwischenzeit war ich bei einer Heilpraktikerin, bei der ich mich ebenfalls gut aufgehoben fühlte. Zusammen schafften wir auch diese Krise zu bewältigen. Zwischenzeitlich wurden meine Nackenbeschwerden unerträglich, wahrscheinlich als Folge meiner extremen psychischen Anspannung.

Die Naturheilkunde half mir diese schlimme Zeit zu überstehen. Ob Homöopathie, die Pflanzenheilkunde, irgendwas fanden wir immer, so dass es wieder weiterging.

Auch die Visualisierungstechnik nach Simonton half mir sehr und ich lernte zu fokussieren, ein Ziel im Auge zu behalten. Auch die Achtsamkeitspraxis ist bis heute fester Bestandteil meines Lebens.

Wir formulierten gemeinsam ein Ziel: Psychisch stark, emotional gefestigt und körperlich gesund aus dieser Krise hervorzugehen. Ich ließ mich nicht unterkriegen. Mir wurde deutlich bewusst, jedes Hindernis kann mich stärken und lässt mich innerlich wachsen. Irgendwann begriff ich, ich bin nicht mehr hilflos. Ich erlebte mich als selbst wirksam. Ich entwickelte wieder Vertrauen. Ich lernte in Distanz zu gehen und irgendwann wusste ich ganz genau „Ich schaffe es“! Irgendwie, aber ganz sicher und ganz bestimmt!

In der Zwischenzeit wurde mein Sohn als Stammzellenspender ausgewählt. Es kam mir etwas makaber vor, mein Sohn rettet einem anderen Krebskranken das Leben und ich kämpfe zeitgleich um mein Überleben. Im Herbst 2013 hat er diese großartige Leistung vollzogen. Mein Sohn, 20 Jahre, für mich noch ein Kind, rettet selbstlos einem anderen Menschen das Leben, mit dem Risiko seiner eigenen Gesundheit.

Meine Liebe und Dankbarkeit sind noch heute grenzenlos.

Nach der vorläufig letzten Chemo, war ich nochmals in München um diesen Fachmann zu konsultieren, auf den ich das letzte Mal so lange warten musste. Ich bin tatsächlich nochmal hingefahren. Dieser Münchner Arzt machte mir mehrere Vorschläge, wie es weiter gehen könnte.

Z.B.:

1.    Brusterhaltend / » dann 2. Schälmethode mit Implantat / » und 3. Total OP.
Er schien sich selbst unsicher und empfahl mir eine Zweitmeinung einzuholen.

Wiedermal, das kannte ich ja schon. 😉

 

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Die Übungen aus der Achtsamkeit halfen mir gelassen zu bleiben. Ich übte auch achtsames gehen, war  täglich in der Natur und der Wald wurde mir zu einem besonderen Freund.

Zum wiederholten Male war ich in einem Mamma-Centrum in München. Die neueste Diagnose hier, war eine starke Verkleinerung der Tumormasse insgesamt aber noch 1 cm.

6 -7te Diagnose

Die Chemo schien jedenfalls gewirkt zu haben. War ich erleichtert? Ich weiß es nicht. Misstrauen wurde ein ständiger Begleiter, ein Schatten von mir. Mittlerweile habe ich gelernt es so zu nehmen wie es kommt und nur immer einen kleinen Schritt weiter zu denken. Nach insgesamt 8 Monaten fand also eine neue Tumorkonferenz statt. (Gut, dass es das gibt). Ich sollte wieder zu einem MRT.

Okay!

In 4 Tagen hatte ich meinen (festen) OP Termin. Alles sehr kurzfristig. Ich hatte aber noch nicht die Diagnose von diesem letzten MRT. Ich hätte zu gerne das Ergebnis von diesem MRT gewusst, bevor man mich operieren würde. Was sollte ich tun? Ich hatte am 3.4. 2013 eine Einweisung in die Münchner Klinik. Ich dachte, ich bleibe da, es geht nun endlich los. Doch leider hat mir keiner gesagt, dass ich diese Nacht vor der OP nicht im Krankenhaus bleiben darf. Es handelte sich erstmal um eine ambulante Einweisung. An diesem Tag hab ich erfahren, dass mein Tumor laut MRT noch 4,3 x 2,7 cm groß war. Ich hätte schreien können.

7 – 8te Diagnose

Im Krankenhaus sagte man mir, ich könnte da bleiben, wenn ich für diese Nacht 135 € bezahle, dann empfahl man mir als Alternative 3 Hotels in der Nähe. Dies ließ das Fass überlaufen. Das Bett war für mich reserviert aber ich durfte mich nicht reinlegen. Ich war körperlich sehr mitgenommen und durfte doch keine Schwäche zeigen. Nach vielem Reden blieb wenigstens das Gepäck da und ich fuhr mit dem Schlüssel von meinem zukünftigen Schrank wieder zurück nach Hause. (ca. 60 km). Am nächsten Tag bin ich 3:30 Uhr aufgestanden, um pünktlich um 6:30 da zu sein.

 

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(c) unsplash-corina-ardeleanu

Mich entdeckte eine Einkaufstasche mit Mohnblumen – immer diese Mohnblumen? auf Servietten, auf einem Vorhang, als Kissen – sie schienen mir was mitteilen zu wollen. Ein Fingerzeit – ein Symbol – ich wurde immer offener für sie.

Ich hab es geschafft, ohne Beruhigungstabletten und ohne Psychopharmaka. Ich wusste vor allem, meine Tochter hinter mir und meine Heilpraktikerin, die inzwischen meine Freundin ist, meine Familie und viele andere Menschen, von denen ich mich geliebt, umsorgt und getragen fühlte. Irgendwie war das mit der Chemo nicht so vordergründig, sondern nur die stete Unsicherheit über die unterschiedlichen Diagnosen. Das war richtig fies. Das hat mich am meisten belastet.

Ich wurde an einem Donnerstag den 4.4. 2013 endlich mit Implantat operiert. Jetzt, während ich dies niederschreibe scheint dies wie ein Albtraum zu sein. Ich flehte den Anästhesisten an, die richtige Brust zu operieren. Dann hab ich wieder zwei Wochen auf mein hoffentlich endgültiges Ergebnis gewartet. In der Onkologie braucht man viel Geduld. Das Ergebnis: Es wurde alles entfernt auch der Resttumor 1,5 cm. So hieß es. (siehe oben, bemerke diese Diagnose – da hilft nur noch Galgenhumor).

8 – 9te Diagnose

Ich zweifelte meine eigene Krankenakte an und es fiel das Wort „Bildfälschung“. (Aussage eines Arztes bei einer Nachuntersuchung). Dieser böse Film, indem ich eine Rolle hatte, schien endlich ein Ende zu haben.

 

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Meine geliebten Mohnblumen, sie sind immer im richtigen Moment aufgetaucht.

 

Ich trug stets ein inneres Bild mit mir, von meinem wunderschönen Sommerkleid. Als ich noch ahnungslos war, kurz vor Beginn des Wahnsinns, habe ich es mir gekauft. Der Stoff meiner Träume – hell und leicht. Ein Traum von einem Sommerkleid. Es hing die ganze Zeit über, gut sichtbar an der Kleiderschranktür. Es wartete geduldig auf mich. Zwei Tage vor der ersten Diagnose hatte ich es nur einmal anprobiert. Ich schlüpfte hinein, wie in ein neues Leben. Seit dem sprühe ich vor Energie. Was ich sicher weiß, es kann nie mehr so werden, wie es mal war, das ist gewiss. Meine alte Arbeit habe ich gekündigt und fange etwas Neues an.

Ich lebe bewusster, bin dankbar und habe mein Selbstbewusstsein, mein Selbstvertrauen und meinen Humor wieder gefunden. Ich begrüße jeden neuen Tag, aus tiefsten Herzen.

Irgendwann, so genau weiß ich es nicht mehr, begegneten mir Mohnblumen, in den unterschiedlichsten Formen; als Bild, als Tasse, als Vorhang, im Wartezimmer, Postkarte, Buchumschlag, im Traum, Servietten, als Gedicht ~ ~ ~. Ich lernte die Mohnblumen zu lieben. Wie durch einen Zauber, begegneten sie mir im Laufe meiner Odyssee immer wieder. Die Mohnblumen wurden zum roten Faden, zum Fokus meiner Aufmerksamkeit. Dies half mir, Weggabelungen wahrzunehmen und innezuhalten, ganz bei mir zu sein.

Es schien mir, als hätte der Himmel selbst, mir die Mohnblumen gesandt, um im richtigen Moment, zur richtigen Zeit, am richtigen Ort die Weggabelung nicht zu übersehen. Dafür bin ich den Mohnblumen auf ewig dankbar.

Nachtrag:
Im September 2015 tastete ich rechts, da wo das Silikonkissen saß, veränderte Lymphknoten. (glaubte ich!) Im Oktober 2015 war ich beim Radiologen – der Befund: keine veränderten Lymphknoten. Im Januar 2016 war ich beim Onkologen – Befund: keine veränderten Lymphknoten.

Im Februar 2016 hatte ich ein MRT mit dem Befund: das Silikonkissen ist ausgelaufen. Ich hatte seit Monaten einen extremen Reizhusten, der selbst mit Hustenblockern nur kurzfristig zu beruhigen war. Ich hatte so eine Angst, dass das mit dem Inhalt des Silikonkissens zu tun haben könnte. Im März 2016 hatte ich einen Mammographietermin, der meine Befürchtungen bestätigte.

5 Wochen danach habe ich im Josefinum ein neues Implantat erhalten. Hier fand ich eine freundliche und an mir, als Mensch, interessierte Ärztin, ich konnte mich mit Vertrauen auf den OP Tisch legen. Sie hat alles richtig gut gemacht. Ich war nur 3 Tage im Krankenhaus und anschließend 5 Wochen krankgeschrieben. Ich hab eine Reha gemacht und gehe regelmäßig zu einem Reha Sport.

Ich habe bis heute September 2016 Beschwerden im rechten Arm, sowie im Nacken- und Schulterbereich. Ich fahre viel Fahrrad, bin wieder berufstätig, bin für meine mittlerweile zwei Enkelkinder da, besuche weiterhin die Achtsamkeitsgruppe und lebe mein Leben. Ich liebe Waldspaziergänge, treffe mich mit Freunden und bin gegenwärtiger denn je. Ich lebe im JETZT und nehme bewusst kostbare Momente wahr. Vor allem meine geliebten Mohnblumen sind bis heute meine, mein Herz wärmenden Begleiter.

Hier endet meine Geschichte.

Ich wünsche mir, du findest etwas darin, was dir weiterhilft. Ich habe erfahren, dass es eines bewussten Willens bedarf, der neue Türen öffnet. Es ist wichtig, dass du etwas hast, an dem du dich festhalten kannst. Finde etwas, wie ich, mit der Praxis der Achtsamkeit, die mir wieder Selbstvertrauen und Gelassenheit geschenkt hat. Gehe bewusst und beharrlich auf dein selbstgestecktes Ziel zu. Plane ein, dass es auch mal rückwärtsläuft und du vielleicht strauchelst. Dann nehme Haltung ein, gehe klar und bestimmt weiter, bleib offen und du wirst Menschen finden, die dir weiterhelfen.
Dazu wünsche ich dir von ganzem Herzen, Kraft und Zuversicht.

 

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(c) unsplash-freestocks.org

Die Mohnblumen tauchten immer im richtigen Moment auf. Sie halfen mir, mich immer wieder auf mich selbst zu besinnen.

Roswitha B. – im Herbst 2016