SpitzwegerichHier habe ich für Dich einen Auszug aus dem Buch „Neue Kräutermärchen“, dass Du auch hier kaufen kannst. Schmökere doch einfach mal rein.

Aus:
Folke Tegetthoff
Kräutermärchen
Verlag Nymphenburger
ISBN 3-485-01052-9

 

Es war einmal ein kleines Pflänzchen, mit dem Namen Spitzwegerich.

Eines Tages, neugierig, was da wohl sein mag, streckte der Spitzwegerich, vorsichtig einen Blattfinger aus der Erde.

Und das erste was er sah war die Sonne.

Und die Sonne streckte ihm ihre Strahlen entgegen und zog ihn empor.

Und der Spitzwegerich dachte, wie großartig , wie wunderschön, wie einmalig, muss denn diese Welt sein, die ihm eine Sonne als Willkommensgruß entgegenschickt, strahlend, warm und verheißungsvoll.

Und er dachte diese Sonne sei nur für ihn da.

Und so wuchs er ihr entgegen, und wurde größer und größer.

Und als die Zeit reif war, meldete sich sein Pflanzenwesen.

Wozu: um zu lernen, um zu verstehen, sein „hier“ sein, sein „da“ sein, so viele Aufgaben !

Die Erde, das Wasser und die Sonne gaben ihm Kraft, eine ganz, eine besondere Kraft.

Und er verwandelte diese Kraft ,in seine , einzigartige Kraft,
in die Kraft des Spitzwegerichs.

Eines Tages, er nahm wieder Kontakt auf mit seiner Wesenheit, neugierig wie er war, fragte er:

„Pflanzenwesen, kann ich denn auch Erde werden ?“
„ Alles wird zu Erde, auch du“ das Pflanzenwesen lächelte geheimnisvoll.
„ Kann ich denn auch Wasser werden ?“
„ Du bestehst bereits zu einem großen Teil aus Wasser“.
„Ja, und Pflanzenwesenheit , kann ich denn auch Sonne werden?“
„ Nein, das kannst du nicht , denn du würdest verbrennen“.

Der Spitzwegerich musste nachdenken, er fühlte sich so stark,
wie stark musste erst dann die Sonne sein, wenn sie ihn den starken Spitzwegerich verbrennen könnte.

Wesenheit , ich habe es mir gut überlegt, ich möchte Sonne werden,
ich könnte dann der ganzen Welt so viel mehr Kraft, Wärme und Licht schenken.

Das Wesen sagte: „ Sei zufrieden mit der Aufgabe, die Gott dir gegeben hat.“
Aber der Spitzwegerich gab nicht auf, „ nur wenn ich Sonne sein kann, dann bin ich wirklich glücklich.“

Nun gut, kaum ausgesprochen , verwandelte das Wesen den Spitzwegerich in die Sonne.

Und er wanderte am Himmel entlang.
Er sandte seine Stahlen zu allem Lebendigen.
Und alles Lebendige strebte ihm entgegen.
„ Oh , ich bin überglücklich, ich habe die allerhöchste Aufgabe, Sonne zu sein. „
Eine Zeit lang gefiel es ihm sehr , Sonne zu sein.

Aber dann , irgendwann, wurde er traurig, dass all seine Nachbarn, links und rechts des Weges, wo er einst gelebt hatte, auch die Bienen , die Schmetterlinge, die Käfer die ihn immer besucht haben , auch der alte, morsche Holzzaun , mit dem er manchmal geplaudert hatte, keiner ahnte , keiner wusste , dass der unscheinbare Spitzwegerich , nun die Sonne war.
Keiner konnte ihm in die Augen blicken, denn er blendete so stark.
Irgendwann entdeckte er , nicht weit von der Stelle, wo er mal gelebt hatte, eine wunderschöne Blume .

Sie war von so einer unglaublichen Schönheit , wie er es noch nie gesehen hatte.
Bienen, Fliegen und Libellen umschwirrten sie, kleinen Hubschraubern gleich.
Der ganze Garten sah bewundernd zu ihr auf.

Der Spitzwegerich der nun Sonne war, fragte: „ Wie heißt du denn ?“
„Sonnenblume“ weil ich, dein Ebenbild auf Erden bin.

„ Oh , Sonnenblume“, der Spitzwegerich war ganz, entzückt.
„ Ja, gibt es denn , etwas besseres, als Sonnenblume zu sein!
Tochter der Sonne, Sohn der Erde, wunderschön, aber ohne zu blenden!
Du bist so gütig , Sonnenblume, denn du lässt alle, an deiner Schönheit teilhaben, ohne sie zu blenden.
Ich weiß es jetzt, ich will nichts anderes als Sonnenblume sein! „

„ Dein Wunsch soll dir erfüllt werden!“ sagte das Wesen und schwubs war der Spitzwegerich
die schönste Sonnenblume, die es je gab auf der Erde.

Alle reckten ihre Köpfe nach ihr und bewunderten sie.

„ Oh , ich bin ja so glücklich, das ist wahrlich das höchste Glück – die Sonne auf Erden zu sein! Es gibt nicht besseres!

Dies hörte ein Vogel, und ärgerte sich über den Hochmut , dieser Blume.
Er flog zu ihr hin und pickte ein paar ihrer Samen aus der Blüte.
„ Was tust du da ? rief die Sonnenblume entsetzt .“
„ Du zerstörst ja meine Schönheit!“.
Der Vogel sagte: „ Blume, was ist deine Schönheit gegen meine Kraft.
Du kannst nichts, außer schön sein, – was dir das nützt, das siehst du ja. !
Du bist nichts, als ein paar Sonnenblumenkerne zum Essen für mich, damit ich herumfliegen kann und mir die Welt ansehen kann !
Du siehst , ich bin viel mächtiger als du.“

Der Spitzwegerich der nun Sonnenblume war , dachte nach.
Hm, ja er war fest verwurzelt, er durfte zusehen , was in seinem Garten passierte,
aber dieser Vogel konnte währenddessen die ganze Welt entdecken.
Der Vogel musste wirklich sehr mächtig sein,
wenn er selbst die Sonnenblume, zu seinem
Untertan machen konnte, und sie auch noch aufessen konnte.
Und so sprach der Spitzwegerich,
„ich möchte Vogel werden „ !
Und wieder, erfüllte das Pflanzenwesen den Wunsch, und verwandelte den Spitzwegerich in einen Vogel.

„Ach war ich doch dumm, „ lachte der Spitzwegerich.
Warum habe ich nicht gleich erkannt, dass es das schönste ist, das Allerherrlichste überhaupt, nämlich ein Vogel zu sein !

Der Spitzwegerich flog hoch in den Himmel.
Er fraß, was ihm zwischen den Schnabel kam.
Er sang und war überglücklich, wie noch nie zuvor in seinem ganzen Leben.
Eines Tage jagte er vergnügt durch die Lüfte.
Und plötzlich , ohne jede Vorwarnung, wurde es dunkel um ihn herum.
Er schlug wild mit seinen Flügeln aber er kam nicht von der Stelle und Panik ergriff ihn.
Zuerst dachte er, der Himmel sei eingestürzt.
Doch dann hob sich der Himmel ,
und eine grobe Menschenhand packte ihn,
holte ihn aus dem Netz und steckte ihn , den Spitzwegerich , der nun Vogel war in einen eisernen Käfig.

Er saß traurig und niedergeschlagen auf einer Stange und seine Welt war nur noch ein kleines dunkles Zimmer.
Er konnte nicht mehr fliegen.
Sein Essen bekam er durch ein kleines Türchen zugeschoben.
Er hatte an nichts mehr eine Freude.
Es war langweilig, es gab nichts zu tun.
Er konnte den Menschen nur zusehen.
Er sah sie sprechen, er sah sie singen, er hörte Musik , die ihm viel schöner erschien als seine eintönigen Lieder, er sah sie schreien , küssen und herumtollen.

Und – sie waren frei !
Er dachte nach, – Mensch zu sein, – was für ein Leben.
Mensch zu sein , – das ist das wahre Glück.

Wesenheit , wenn du mich hören kannst, lass mich Mensch werden.
Und schon war der Spitzwegerich , nachdem er schon Sonne, Blume und dann Vogel gewesen war, Mensch !

Er konnte nun tanzen, lachen und weinen.
Er konnte anderen die Freiheit rauben und sie ihnen wieder schenken.
Er konnte Blumen wachsen lassen und sie wieder brechen.
Er konnte sogar der Sonne ins Auge sehen und er konnte sie sogar aus seinem Hause vertreiben.
Ja, der Mensch war eindeutig das mächtigste Wesen auf Gottes Erden.
Die Zeit verging und der Spitzwegerich erlebte die glücklichste Zeit seines Lebens, seines Lebens als Mensch.

Eines Tages spürte er ein seltsames Ziehen in der Brust, und ein heftiger Husten quälte ihn.
Bald schon , konnte er sein Bett nicht mehr verlassen.

Er sah keine Sonne mehr und es gab kein Lachen, kein Tanzen, kein Essen schmeckte ihm mehr.

Eine schlimme Krankheit saß an seinem Bett und hatte den mächtigen Menschen niedergestreckt.
„Es steht sehr schlecht um ihn“ , sagte der Arzt.
„ Wenn wir nicht bald die richtige Medizin für ihn finden, gibt es keine Hoffnung.“

Da erschien am Bett des Spitzwegerichs, der nun Mensch war, eine Kräuterfrau.
Sie sah ihn fiebern und husten, und sie sagte:
„ Es gibt ein Kraut, das deine Krankheit besiegen kann und dich wieder gesund machen kann.

Es ist eine wunderbare, kräftige Pflanze, ein wahres Geschenk des Himmels.
Und sie wächst gleich am Weg neben deinem Haus, ich habe sie dort gesehen.
„ Wie heißt dieses besondere Kraut? „ fragte der Mensch mit schwacher Stimme.

„ Spitzwegerich „ sagte die Frau, „ Spitzwegerich“.

Und so wurde der Spitzwegerich wieder zum dem was er war.

Und dass er nicht gestorben ist, das wissen wir, denn er lebt auch noch heute.


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